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Das Märchen vom großen Leiden der
Zirkustiere
Welt - online 3.12. 2011 Autor: Elke Bodderas
Von wegen traurig und gequält: Löwen, Tiger und Elefanten im Zirkus
sind viel glücklicher als ihre Artgenossen im Zoo, behauptet ein
Verhaltensbiologe. Der Bundesrat fordert das Verbot von Wildtieren im Zirkus
eine artgerechte Haltung von Elefanten, Raubkatzen oder Flusspferden sei
nicht möglich.
"Das entbehrt jeder wissenschaftlicher Grundlage", entgegnet der
Freiburger Verhaltensbiologe Immanuel Birmelin.
Immanuel Birmelin: Es war deshalb, weil diverse Tierschützer immer wieder
behaupten, dass Zirkustiere leiden, vor allem beim Transport.
Mein Kollege und ich sind also nach Monaco gefahren zu Martin Lacey. Er ist der
Raubtiertrainer vom Circus Krone. Lacey kann seinen Löwen unbesorgt ins
Maul fassen. Er hat für uns die Speichelproben genommen, ohne
Betäubung und wir haben dann den Stresshormonspiegel gemessen. Es
ging dabei um die Cortisolwerte vor, während und nach einer
ungewöhnlich langen Reise, in diesem Fall von Monaco nach München.
Eigentlich eine Zumutung. Normalerweise macht ein Zirkus nur 100 bis 200
Kilometer täglich.
Welt Online: Und?
Birmelin: Eine Überraschung: Die Löwen waren genauso entspannt wie
ihrer Artgenossen in der Serengeti. Der Einzige, der wirklich Stress hatte, war
ihr Trainer Martin Lacey. Bei dieser ganzen Diskussion über das Verbot von
Wildtieren im Zirkus ist eines auffällig: Dass Wissenschaftler mit
Löwen, Tigern und Elefanten in der Manege in der Regel kein Problem haben.
Warum auch? Es gibt weder im weiteren wissenschaftlichen noch im engeren
medizinischen Umfeld eine Grundlage dafür. Aber der Diskussion tut das
keinen Abbruch. Der Cambridger Biologe Sir Patrick Bateson, der sich wie ich
intensiv mit Zirkustieren beschäftigt, hat im Auftrag der britischen
Regierung geprüft, ob man die Haltung von Wildtieren im Zirkus verbieten
sollte. Auch seine Forschergruppe kam zu dem Fazit, dass dazu kein Grund
besteht. Einer der führenden Löwenforscher, Craig Parker, fand
heraus, dass sich die Hormonwerte der Tiere wie auch ihr Gesundheitszustand in
der Körperbehaarung widerspiegeln die fittesten Tiere erkennt man
an ihrer langen, glänzenden Mähne. Wenn Craig richtig liegt, dann
strotzen die Löwen im Circus Krone nur so vor Gesundheit. Wer behauptet,
der Zirkus bedeute für sie ein leidvolles Leben, der weiß einfach
nicht, wovon er spricht.
Welt Online: Aber gegen ein modernes Zoogehege sieht so ein Raubtierkäfig
im Zirkus wie eine Gefängniszelle aus.
Birmelin: Das sagen die Tierschützer auch. Aber vor lauter
Quadratmeterzählen entgeht den meisten das Wichtigste: Sie halten die
Tiere offensichtlich für dumm. Wie der Mensch finden auch Tiere das
größte Glück in dem, was sie erleben. Die ganze Neurobiologie
spricht deshalb ganz eindeutig zugunsten des Zirkus. Unterhaltung, Lernen,
Training das alles ist doch für Tiere extrem wichtig. Ich habe
Sonni Frankello vom Elefantenhof Platschow beobachtet oder die Trainer vom
Zirkus Knie wie die ihre Elefanten beschäftigten, sie unterhalten
und körperlich fit machen. Dagegen sind die Elefanten in den
größten, schönsten Zoos dieser Welt bedauernswerte Kreaturen.
Ein Gehege können Sie noch so groß bauen nach ein paar Tagen
kennen die Elefanten dort jedes Stöckchen. Die Tiere langweilen sich zu
Tode. Der Zirkus hat ihnen viel mehr zu bieten. Gerade im Winter. Da werden
Zootiere spätnachmittags um fünf in den Stall gesperrt bis
morgens um acht. Während dieser Zeit ist im Zirkus immer noch was los.
Welt Online: Aber viele Zirkus-Elefanten sind psychisch gestört, bewegen
sich zwanghaft hin und her, sie "weben", wie Tierschützer
bemängeln...
Birmelin: Eine Doktorandin hat 2007 das Verhalten von Zoo- und Zirkuselefanten
verglichen. Sie kam zu dem Schluss, dass Zirkuselefanten nicht schlechter dran
sind als die Elefanten im Zoo. Auch bei Elefanten wurden die Stresshormone vor
und nach Transporten gemessen, und auch hier traten keine auffällig
erhöhten Werte auf. Ein webender Elefant, das ist natürlich
furchtbar. Aber die meisten Zirkuselefanten sind zwischen 30 und 40 Jahre alt.
Vor zwanzig Jahren hat man die Tiere noch ganz anders gehalten als heute. Sie
mussten länger angebunden stehen, das war für die Tiere verheerend.
Viele Verhaltensauffälligkeiten stammen noch aus dieser Zeit. Inzwischen
hat die Bundesregierung in Leitlinien festgelegt, dass die Tiere ein
Außengehege brauchen. Diese Leitlinien für Zirkustiere sind
angemessen, tiergerecht. Aus verhaltensbiologischer Sicht gibt es keinen Grund,
Elefanten oder Raubtiere im Zirkus zu verbieten, mit nur einer Ausnahme, den
Bären. Auch Schimpansen gehören nicht in die Manege. Ein Gehege, das
ihrem Spieltrieb gerecht wird, kann kein Zirkus dieser Welt finanzieren.
Welt Online: Also doch lieber ein Verbot?
Birmelin: Nein. Warum können wir uns nicht die Schweiz zum Vorbild nehmen?
Dort ist genau festgelegt, wie welches Tier gehalten werden muss. Wer sich
nicht dran hält, muss Strafe zahlen oder sein Tier abgeben. Das
gilt auch für Zirkusse.
Welt Online: Elefanten, die Kopfstand üben und auf zwei Beinen gehen
was soll daran artgerecht sein?
Birmelin: Die Zirkusleute sind einfühlsame Tierkenner und große
Tierfreunde. Weder könnten sie es sich leisten, ihre Tiere schlecht zu
behandeln, noch brächten sie es übers Herz. Ein unbedarfter
Elefantentrainer riskiert sein Leben, ein Raubtierdompteur würde einfach
aufgefressen. Im Zirkus habe ich Sternstunden der Mensch-Tierkommunikation
erlebt. Die Leute lieben ihre Tiere und ihre Tiere lieben sie.
Welt Online: Ein Beispiel?
Birmelin: Vor einiger Zeit meldeten Forscher, dass Elefanten sich im Spiegel
erkennen können. Sie hatten das aber nur für indische Elefanten
bewiesen. Die sind viel zahmer und umgänglicher. Mich hat dann
interessiert, wie die erheblich aggressiveren Afrikanischen Elefanten auf sich
selber im Spiegel reagieren. Ich habe einmal in Afrika ein Tier erlebt, das
mich mitsamt meinem Auto auf die Stoßzähne genommen und durch die
Luft geschleudert hat. So bin ich zu Sonni Frankello gefahren, um das indische
Experiment auf afrikanisch zu wiederholen. Frankello führt seine
Elefantenkuh Mala vor die riesige Spiegelwand. Und Mala? Die sieht sich im
Spiegel, erschrickt, trompetet, Schwanz nach oben und geht gegen den
Spiegel los. Frankello steht neben dem wütenden Koloss, nur mit einer
dünnen Leine in der Hand. Aber er redet mit Mala, leise: "Komm,
komm", sagt er, "hör doch auf, das bist doch du da im
Spiegel". Reden, streicheln, reden, streicheln so bringt der
Trainer das rasende Tier zehn Zentimeter vor dem Spiegel zum Stoppen.
Können Sie sich vorstellen, wie viel Vertrauen dieses Tier zu diesem
Trainer hat? Und von dem zu behaupten, er quäle seine Tiere?
Welt Online: Dann können sich Elefanten also doch nicht im Spiegel
erkennen...
Birmelin: Das dachten wir auch (lacht). Aber wir haben uns getraut, Mala ein
zweites Mal in den Spiegel schauen zu lassen. Erst wollte sie angreifen, doch
auf einmal dämmerte es ihr. Da ging ein Ruck durch Mala, sie nahm den
Rüssel nach oben, öffnete das Maul und untersuchte sich selbst im
Spiegel. Wir haben ihr dann eine Kunststoff-Banane auf die Stirn geklebt, sie
wieder vor den Spiegel gestellt. Sie hebt den Rüssel und greift sich an
die Stirn, nimmt die Banane und wirft sie zu Boden. So ein Erlebnis mit einem
psychisch gestörten Tier? Unvorstellbar!
Welt Online: Aber Zirkustiere sind oft krank...
Birmelin: Noch so ein Mythos. Berühmt ist auch die Anekdote, dass
Tierschützer gegen Elefanten in einem Zirkus protestierten, der keine
Elefanten besaß. Zu den kranken Zirkustieren fällt mir noch ein: Der
Circus Krone ist einmal innerhalb von vier Wochen elfmal kontrolliert worden,
zu allen Tages- und Nachtzeiten. Die Amtstierärzte waren zufrieden, sie
hatten nichts Gravierendes zu bemängeln. Wenn privaten Tierhaltern so auf
den Zahn gefühlt würde, wäre ich glücklich. Warum
knöpfen sich die Tierschützer nicht den Heimtiersektor vor, die
Reptilienhalter oder Fans exotischer Vögel? Viele Papageien sterben einen
vereinsamten Tod.
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